Sortenvielfalt ist eine meiner Lieblingsdinge an Craftbier. Vorbei sind die Tage an denen es nur Helles, Pils und sonntags zur Abwechslung ein Weißbier gab. Inzwischen kann man IPAs in allen Varianten, Stouts, Porter und auch Sauerbiere genießen, also warum nicht auch eine beinahe totgeglaubte deutsche Biervariation?
Hier ist natürlich von Berliner Weiße die Rede. Wir haben diesem Thema bereits einen Artikel gewidmet, haben aber damals schändlicherweise weder Andreas Bogk, noch Ulrike Genz und die Schneeeule erwähnt. Jetzt haben wir letztere auf der BKL 2019 in München getroffen und mit ihr gesprochen (Interview unterhalb).
Die Kurzfassung der Geschichte lautet in etwa so: Die vor einigen Jahrzehnten noch vorhandene Sortenvielfalt an Berliner Weiße war de facto ausgestorben. Andreas Bogk, eigentlich IT-Fachmann, setzt es sich zum Ziel diese wiederherzustellen und kauft alte Flaschen Berliner Weiße. Die dort enthaltenen, zum Teil über 50 Jahre alten Hefen sind konserviert wie Dinosaurier-DNA in Bernstein und können wiederbelebt werden. (Mir ist kein Wortspiel mit Jurassic Park für den Titel eingefallen. Wenn ihr eine Idee habt, bitte an konstantin@bierspindel.net schicken! Bierasic Park: Vergessenes Bierreich war schon meine “beste” Idee)
Diese Hefen hat er freundlicherweise Ulrike Genz überlassen, der Braumeisterin von Schneeeule. Dank diesen beiden Enthusiasten können wir alle jetzt wieder originale und ausgezeichnete Berliner Weiße trinken.
So etwa Marlene – die klassische, historische Berliner Weiße. Wie immer bei diesem Bierstil kann sich der Geschmack während der Lagerung ändern, wir empfehlen also gleich ein paar Flaschen mehr zu kaufen und in regelmäßigen Abständen, zum Beispiel halbjährlich, zu trinken. Je nachdem wie “alt” das Bier ist kann es trüb oder schon wieder klar sein, die Farbe ist am besten als kräftiges Gelb zu beschreiben. In der Nase merkt man gleich, hier wurde mit “wilden” Hefen vergoren.
Geschmacklich passt das Bier super in den Sommer, es kann aber auch im Winter getrunken werden. Die Säure ist schön abgerundet und nicht zu intensiv, das Bier ist fruchtig bzw. zitronig. Insgesamt ist es sicher etwas ausgefallen, aber trotzdem spritzig und leicht.
Uns wurde ein Insidertipp zugespielt, wie der Geschmack am besten ausprobiert werden kann: Hat man schon etwas länger gelagertes, also wieder klares Bier, vorsichtig bis zur Hefeschicht einschenken. Dann kosten und anschließend die Hefe zugeben. So kann die Hefe eindeutig herausgeschmeckt werden und die Trinkerin bzw. der Trinker kann entscheiden, wie das Bier besser schmeckt. Im Gegensatz zu bayrischem Weißbier sind hier beide Varianten erlaubt! Hier sind die Bayern eben preußischer als die “Preußen” selbst.
Wir haben Ulrike ein paar Fragen gestellt, ihre Antworten findet ihr unterhalb:
1) Wie hat dir die Braukunst Live in München im Vergleich zu ähnlichen Veranstaltungen in Berlin gefallen? Gab es Unterschiede im Publikum?
Etwas wie die BKL gibt es hier in Berlin nicht. Wir haben die Berlin Beer Week oder den Berliner Weisse Gipfel, aber so eine große messeartige Veranstaltung gibt es nicht. Die Grüne Woche vielleicht. Aber da war ich leider noch nie. Das Publikum erscheint mir auf Veranstaltungen in Berlin deutlich internationaler zu sein als das in München, aber das Interesse an gutem Bier ist überall gleich.
2) Wie kamst du dazu, dich auf Berliner Weiße zu spezialisieren?
Auf einer VLB-Oktobertagung habe ich mich in diesen Bierstil verliebt. Die vom VLB-Braumeister Kurt Marshall gebraute Berliner Weiße hat den Ausschlag gegeben. Nachdem ich diese Weiße probiert hatte, war ich sofort Feuer und Flamme. Ich konnte mir gar nicht mehr vorstellen, was anderes zu machen. Die nächsten Jahre durfte dann mein Mann als Tester sehr viele, mehr oder weniger geglückte, Homebrewingversuche über sich ergehen lassen, bis ich mit dem Ergebnis einigermaßen zufrieden war.
3) Wer, wenn nicht du, könnte eine Berliner Weiße besser definieren?
Bei der Berliner Weissen handelt es sich um ein milchsauer vergorenes Weizenschankbier in Flaschengärung mit Nachgärhefe Brettanomyces das in Berlin gebraut wurde. Es sollte nicht zu sauer sein und durch die Flaschengärung eine schöne Karbonisierung haben. Auf Sirup sollte verzichtet werden.
4) Wie lang empfiehlst du eine Berliner Weiße zu lagern, damit sie perfekt ist?
Ich mag die ganz junge Weisse, die nach ca. 2 Monaten Flaschengärung in den Verkauf kommt, die ist noch leicht süßlich und der Brett-Character ist noch etwas zurückhaltender. Aber auch ein oder zwei Jahre gelagerte, die dann sehr trocken und sehr sprudelig wird fast wie Champagner mag ich sehr.
5) Wenn du eine Brauerei für ein Collaboration Brew wählen könntest – egal welche – welche wäre es?
Ich habe schon mit so vielen tollen Leuten Coallbos gemacht. Das Brettamarsi mit Alex Himburg ist gerade auf Ratebeer zum besten Bier aus Berlin gekürt worden. Eine tolle Erfahrung war auch eine Zusammenarbeit mit den Norwegern von Eik&Tid oder Chorlton aus Manchester. In den nächsten Monaten kommt dann noch die holzfassgereifte Zusammenarbeit mit Brekeriet aus Schweden raus. Im Sommer fahre ich voraussichtlich ein paar Wochen in die USA. Dort würde sehr, sehr gerne mal was mit Speciation ( https://speciationartisanales.com/ ) aus Grand Rapids machen, das ist für mich gerade eine der besten Sauerbierproduzenten weltweit.
6) Was sind deine Projekte für dieses Jahr? Sieht man dich wieder mal in München?
Ich bin gerade auf der Suche nach einem neuen, größeren Produktionsstandort das ist gerade so ziemlich das wichtigste für mich. Im Sommer geht es in die USA um mal mit einem Importeur zu testen wie meine Weisse dort ankommt. Desweiteren stehen Festivals in Norwegen, Moskau und ein paar TapTakeOver z.B. in London an. Nach München komme ich dieses Jahr bestimmt nochmal für ein TTO im “Frisches Bier”, wann genau ist aber noch nicht raus.